Es soll nun überhaupt nicht abgestritten werden, dass ein großer Teil des Internettraffics neben ärgerlichem Spam auch aus geschäftsschädigenden, illegalen Inhalten besteht. Doch wo genau liegt der Hase im Pfeffer, wenn der Hersteller eines schon per Definition nicht sonderlich herausragenden Titels seine womöglich selbstverschuldete Unfähigkeit unter einem Deckmantel von Anschuldigungen zu vertuschen versucht?

Ein Beispiel muss her: Crysis zu wählen fällt leicht. Da programmiert eine Spieleschmiede eine Grafikdemo, die alleine durch ihre bombastische visuelle Präsentation glänzt; natürlich wird diese schon im Vorfeld bis in den höchsten Himmel gelobt – Print- und Onlinemedien sind sich einig, was braucht der Spieler von heute sonst, wenn nicht fast unspielbar schöne Grafikwelten. Alles andere gab es sowieso schon.
Dass Crysis dafür eine äußerst maue, abgedroschene und fadenscheinige Story (zuerst: Far Cry-Klon, dann mal wieder Außerirdische metzeln), enorme, ja fast übertriebene Systemanforderungen und spielerisch überhaupt nichts Neues bietet (und wehe jetzt denkt jemand an den ach so innovativen NanoSuit) bietet, lässt sich eben schlecht vermarkten.

Stattdessen wundert man sich pikiert darüber, dass jeder Spieler bei Sinnen die Screenshotfabrik für Benchmarks und Längenvergleiche aller Art illegal aus dem Internet bezieht. Das ist zwar wahrlich kein Kavaliersdelikt und soll auch nicht ansatzweise schöngeredet werden; verständlich finde ich es trotzdem. "Alternativ" (ja, ich weiß) kann man sich das Spiel für ein paar gehäufte Cent pro Tag aus der Videothek leihen – von diesen Einnahmen hat CryTek, der Entwickler (jetzt hätte ich fast "das Grafikstudio" geschrieben) jedenfalls ebensowenig. Allerdings kann man auf diese immerhin ehrliche Klientel nicht so schön eindreschen, wie auf die sich strafbar machenden Leecher; politisch ist hier schon garnichts zu holen.

So versucht man, das Problem, einen Haufen Code entwickelt zu haben, der grob an der Zielgruppe – nämlich Spielern, nicht Kunstkritikern – vorbeigeht, aus dem Sichtfeld zu reden. Die Raubkopierer (über die sachlich falsche Begrifflichkeit wurde schon oft genug gestritten) seien Schuld an finanziellem Beinaheruin und der eingeschnappten Folgerung daraus, künftig (nur noch) für Konsolen zu entwickeln. Wer hier herzlos Parallelen zur beleidigten Leberwurst sieht, frisst auch kleine Kinder.

Doch was ist dran an den Vorwürfen? Wieviele Kopien können moderne Titel offiziell an den Mann bringen und wieviele Felle gehen "unter der Hand", oder vermeintlich unbemerkt über die stetig wachsenden Breitbandleitungen flöten? Musste das Entwicklerstudio Iron Lore tatsächlich wegen der unbezahlten Vervielfältigungen seine Tore schließen?
Die erste Frage ist leicht zu beantworten: Crysis hat sich vom Tag der Veröffentlichung, dem 16.11.2007, bis Februar 2008 mehr als eine Million Mal verkauft und gereicht Publisher Electronic Arts so zu Stolz:

"Wir haben nun 23 Titel, die sich über eine Million mal verkauften. Vor einem Jahr waren es noch fünf“
Warren Jensen (EA)

Dahingegen ist eine Antwort auf die zweite Frage schon viel schwieriger und nicht annähernd so präzise zu erfassen. Crysis sei bereits vor der offiziellen Vorstellung innerhalb von 24 Stunden über 50.000 Mal illegal heruntergeladen worden. Wenn man den anfänglichen Beschwerden Glauben schenkt, bleibt wohl nur eine (verträumte) Schlussfolgerung: Die bösen Raubkopierer haben Einsehen gezeigt und sich den Titel doch im Original zugelegt, bis endlich die Million voll war. 23 Titel mit derart vielen units sold sprechen Bände.
Etwas realistischer könnte man vermuten, dass es sich in Zeiten chronisch buglastiger Software, mieser Portierungen und der Abkehr von Vorab-Demos für die noch nicht ganz zahlungsbereite Käuferschaft einfach ein wenig dauert, bis sich die Güte eines Titels allgemein herumgesprochen hat. Der geneigte Leser bemerkt wieder die unangenehme Situation, dass die Hersteller bei dieser Variante den Miesepeter unangenehmerweise im eigenen Lager suchen müssten.

Oder spielen hier noch andere Faktoren eine Rolle, die von den Verantwortlichen gerne heruntergespielt werden?

"Vergleichbare Konsolenspiele verkaufen sich vier- oder fünfmal so gut. Das war uns eine Lehre, und ich glaube nicht, dass wir in Zukunft noch PC-exklusive Spiele wie Crysis machen werden."
Cevat Yerli (CryTek)

Solche Aussagen lassen sich mehr oder weniger frei interpretieren: Raubkopierer versauen den Umsatz; es gibt mehr interessierte Spieler im Konsolenlager denn bei den PC-Spielern; vielleicht gibt es auch eine Schwerpunktverlagerung – in den USA sind Konsolentitel heute bereits regelmäßig deutlich gefragter als ihre PC-Pendants. Vielleicht sind die "vergleichbaren Konsolenspiele" in der Zielgruppe auch einfach besser bewertet als das eigene Produkt.

Wie ist es eigentlich um die Zielgruppe bestellt? Crysis richtet sich immerhin an Spieler mit Top-Hardware. Wieviel Prozent der Computer weltweit, und seien es nur diejenigen der U30-Generationen, sind überhaupt in der Lage, ein Spiel wie Crysis in erträglichem Setup abzuspielen – ob es eine zweistellige Angabe ist? Offenbar hielten schon über eine Million Spieler ihre Hardware für zumindest ausreichend genug, es wenigstens mal zu probieren. Wieviele der Softwarediebe sich die Software dann allerdings wirklich gekauft hätten, anstatt sie nur interessehalber kurz zu ansehen und Augenblicke später wieder zu löschen oder der Videothek zurückzubringen, wird man nie herausfinden.

Erstaunlich ist dann, dass ausgerechnet aus dem vermeintlich verbitterten Spieleentwickler-Lager eine helle Stimme auch die eigenen Artgenossen anprangert: Brad Wardell, Chef von Stardock Software (Galactic Civilizations, Sins of a Solar Empire), sieht ebenfalls Ursachen bei den Entwicklern liegen.
Nicht weniger erstaunlich scheint es, dass Stardock seine Software ohne Leitartikel in den Medien, ohne Kopierschutzmechanismen oder groß angelegte Werbekampagnen in kurzer Zeit hunderttausende Male verkauft bekommt. Ob da die Ausrichtung des Unternehmens, gute Software abzuliefern, eine positive Rolle spielt?
Anderen Chefs bleibt da anscheinend nur, sich über die starke Konkurrenz (z.B. World of WarCraft im Online-RPG-Genre) oder die schlechte Hardware der Käufer zu beschweren, so geschehen von Epic-Chef Tim Sweeney (Unreal Tournament).
Wie passen nun solche Beschwerden mit Titeln wie Crysis zusammen, die eine spezielle Käuferschicht einer speziellen Käuferschicht ansprechen und im Vorfeld von allen verfügbaren Medien als neue Göttlichkeit des Spiele-Abendlandes gepriesen wurden? Eines haben sie ganz klar gemein: Das große Jammern danach.

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